Deutschlandfunk – 17.06.2019 – Dr. Sebastian Engelbrecht

Streit um Berliner Kirchenbau

Hauptsache Hedwig


Das Erzbistum Berlin beabsichtigt, bedeutendes Kulturerbe in der Mitte Berlins durch Radikalumbau zu vernichten. Der Deutschlandfunk berichtet über den Widerstand, der in der kulturinteressierten Öffentlichkeit dagegen wächst und auf Gerichtsverfahren zuläuft. Der gesendete Beitrag ist in der Audiothek des Deutschlandfunks nachzuhören und auf der Website des Senders nachzulesen. Für Interessierte, die keine digitalen Medien nutzen, wird hier eine Abschrift zum Ausdruck für privaten Gebrauch bereitgestellt.

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Hauptsache Hedwig – Steit um Berliner Kirchenbau
Ein Beitrag des Deutschlandfunk am 17.06.2019 von Sebastian Engelbrecht
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Abschrift des Beitrags von der Internetseite des Deutschlandfunks


Streit um Berliner Kirchenumbau

 

Hauptsache Hedwig

Berlins wichtigste katholischen Kirche, die Hedwigs Kathedrale, soll erneuert werden. Der Denkmalschutz hat das Vorhaben zwar genehmigt, aber Nachfahren des Architekten wehren sich juristisch gegen die Veränderung des Innenraums. Zudem sammelt eine Initiative Unterschriften gegen den Umbau.

Von Sebastian Engelbrecht

 

Die Denkmalschutzbehörden haben den Umbau der St.-Hedwigs-Kathedrale trotz erheblicher Bedenken genehmigt (Bernd von Jutrczenka/dpa)
Die Denkmalschutzbehörden haben den Umbau der St.-Hedwigs-Kathedrale trotz erheblicher Bedenken genehmigt (Bernd von Jutrczenka/dpa)

Die St. Hedwigs-Kathedrale erinnert an das Pantheon in Rom und an die Paulskirche in Frankfurt am Main. Der runde Kuppelbau steht am Bebelplatz nahe dem Berliner Boulevard Unter den Linden. Es handelt sich im katholischen Kontext um ein ganz und gar untypisches Bauwerk. Die katholische Hierarchie und die Trennung von Priestern und Laien sind in dem geradezu parlamentarisch anmutenden Rundbau nicht abzubilden.

 

Die Kirche wurde 1943 im Krieg zerstört und von 1952 bis 63 wieder aufgebaut. Der Düsseldorfer Architekt Hans Schwippert gab der ungewöhnlichen Kirche einen noch ungewöhnlicheren Innenraum. Beim Eintritt blickt man in eine zentrale Öffnung des Bodens. Eine breite Treppe aus schwarzem Marmor führt in die Unterkirche, wo sich bis vor wenigen Monaten das Grab von Bernhard Lichtenberg befand. Lichtenberg war Dompropst in der Zeit des Nationalsozialismus und widerstand dem Regime.

 

Für viele Gläubige hat der Ort eine besondere Atmosphäre. Alfred Molter sang als Jugendlicher in der „Schola“ auf der Empore.

„Für mich war damals schon ungeheuer beeindruckend, wenn man dort oben stand und von oben durchguckte bis durch diese Öffnung hindurch, bis zum Grab von Bernhard Lichtenberg, was ja [ein Jahr vorher], 1965 dort errichtet worden ist – mich hat dieser Raum, diese Art und Weise, wie das zusammengebunden ist, in einer unteren Ebene mit den Heiligen und den verstorbenen Bischöfen, mit der Ebene der Gemeinde, die sich um den Altar sammelt, und mit der Kuppel oben drüber immer schon bewegt.“

 

„Das ist nicht Veränderung, das ist Zerstörung“

Alfred Molter kämpft seit vier Jahren gegen den bevorstehenden Umbau der Kirche.

Erzbischof Heiner Koch entschied vor drei Jahren, dass die Kathedrale saniert und innen völlig neu gestaltet werden soll – nachdem er Voten der zuständigen Gremien des Bistums eingeholt hatte. Der Bau gilt – zumindest unter Geistlichen – als „liturgisch schwierig“. Die Öffnung zur Unterkirche soll beseitigt werden. Dompropst Tobias Przytarski hat mit der Innengestaltung des großen Nachkriegsarchitekten Hans Schwippert seine Probleme.

„Wenn ich in der Kathedrale am Altar stand, hatte ich vor mir eine große Öffnung. Und wenn nicht gerade der Chor sang, hatte ich direkt überhaupt kein Gegenüber, sondern die Menschen saßen rechts und links vom Altar. Also liturgisch ist der Schwippert-Bau schwierig.“

 

Was Przytarski gegen die Hedwigs-Kathedrale im Nachkriegs-Design vorträgt, kann Alfred Molter überhaupt nicht begreifen. Er gründete eine Initiative gegen den Umbau und sammelte 1750 Unterschriften gegen die Umgestaltung. Unterstützt wird Molter auch von einer weiteren Initiative namens „Freunde der Hedwigskathedrale“.

„Das Problem für mich ist die Brutalität, mit der Bestehendes gegen jeden Fachverstand, gegen Sachverstand, gegen Proteste von Leuten, die außerhalb der Kirche auch stehen, von Denkmalpflegern, von den Landesdenkmalpflegern in ganz Deutschland – wie das ignoriert wird und zu einer totalen Zerstörung führen soll. Das ist nicht Veränderung – das ist Zerstörung.“

 

Liturgie wichtiger als Gedächtnisfunktion

Tatsächlich haben die Denkmalschutzbehörden den Umbau trotz erheblicher Bedenken genehmigt – mit Rücksicht auf die liturgischen Argumente des Erzbistums Berlin. Alfred Molter, ehemaliger DDR-Bürger, gibt sich damit nicht zufrieden:

„Das Überwinden der Teilung ist in diesem Raum ausgedrückt. Und das ist das Großartige an diesem Raum, dass er eben nicht nur theologisch, sondern darüber hinaus auch politisch so wichtig geworden ist.“

Künstler aus ganz Deutschland, aus Dresden, Erfurt, Ost-Berlin, Aachen und Düsseldorf gestalteten die Kirche in den 1950er und 60er Jahren: die bunten Glasfenster, die kettenartigen Leuchten, die expressionistisch anmutende Orgel.

Innenraum der St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin (dpa / picture alliance / Andreas Schoelzel)
Innenraum der St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin (dpa / picture alliance / Andreas Schoelzel)

Zudem, erinnert sich Molter, war die Kathedrale in den Zeiten der Teilung ein Ort der Begegnung von Ost- und Westdeutschen.

 

Für Dompropst Tobias Przytarski ist das kein Grund, auf den Umbau zu verzichten:

„Eine Kirche hat nicht die erste Aufgabe, eine bestimmte historische Situation zu verewigen. Wir leben heute in einer anderen Zeit, und die liturgischen Erfordernisse haben Vorrang vor diesen Gedächtnisfunktionen.“

 

Alfred Molter befürchtet, dass aus einem Raum mit räumlicher und theologischer Tiefe und historischer Bedeutung ein „banaler Versammlungsraum“ werden könnte: weiße Wände, ein glatter Boden, Stühle, die im Kreis angeordnet sind.

„Er ist einfach – ich sag mal ganz einfach: geschichtslos, gesichtslos und geistlos.

 

Gottesdienste von staatlicher Bedeutung

Die Gegner des Umbaus empören sich auch wegen der Kosten. Zusammen mit dem Umbau des benachbarten Bernhard-Lichtenberg-Hauses, eines katholischen Versammlungszentrums, sind 60 Millionen Euro Gesamtkosten geplant. Davon sollen ein Drittel das Erzbistum Berlin, ein Drittel die deutschen katholischen Bistümer und ein Drittel der Staat tragen.

„Hier wird außerdem – und da wird es wichtig – das ist auch der Skandal, um den es geht – hier werden 12 Millionen Bundesmittel und 8 Millionen Landesmittel des Landes Berlin, öffentliche Gelder des Steuerzahlers, verwendet, um einen nicht notwendigen Umbau fördern zu lassen.“

 

Dagegen rechtfertigt Dompropst Przytarski, dass sich Bund und Land Berlin an den Kosten beteiligen:

„Es hat allerdings ja auch die Bischofskonferenz ein Interesse an dieser Kirche und an diesem Ort als zentraler katholischer Ort in der deutschen Hauptstadt. Und es hat auch der Bund und das Land ein Interesse an diesem Ort, denn viele Gottesdienste, die von staatlicher Bedeutung sind, also vor der Wahl des Bundespräsidenten, das Requiem für Helmut Kohl oder andere Anlässe, die sich ja immer mehr häufen, finden hier statt.“

 

Wann das Erzbistum Berlin mit den Bauarbeiten beginnen kann, ist völlig unklar. Denn vor dem Landgericht Berlin klagen die Nachfahren der Gestalter des Innenraums den Integritätsschutz, also den Urheberschutz ihrer Kunstwerke ein. Die erste Verhandlung soll am 15. Oktober stattfinden. Die Nachfahren wollen auch die Denkmalschutz-Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts anfechten, das Anfang Januar ihre Klage zurückgewiesen hatte.

 

Aller Voraussicht nach wird Berlin noch lange warten, bis seine wichtigste katholische Kirche wieder ihre Tore öffnet.