Beginnen wir mit einer Zahl: 60 Millionen Euro. So viel soll nach aktueller Planung der Umbau der Berliner St. Hedwigs-Kathedrale kosten, eines der bedeutendsten Kirchenräume der deutschen Nachkriegszeit und mit Abstand wichtigsten Sakralbaus des deutschen Hauptstadt-Katholizismus. Ohne diese 60 Millionen bliebe die St.-Hedwigs-Kathedrale wahrscheinlich noch lange in der Form bestehen, die nun schon gut vier Generationen von Berlinern vertraut ist.
Doch ist das Geld eben da und fest verplant: 20 Millionen steuert das Erzbistum bei. Die deutschen Bistümer haben noch mal 20 Millionen versprochen. Der Bund will zwölf Millionen Euro dazugeben, das Land Berlin acht Millionen. Ziel des Erzbistums ist es, den bestehenden Kirchenraum aus den 1950er Jahren zu einer neuen "Hauptstadtkirche" umzugestalten und gleichzeitig eine neue Form des Gottesdienstes möglich zu machen, in dem die "Communio" im Zentrum stehen soll, die auch räumliche Gemeinschaft aller Gläubigen um den Altar. Seit Jahren wird in der Hauptstadt gestritten, ob dieser tief in den Bestand eingreifende Umbau nötig ist, richtig oder geschichtsvergessen. Für die einen ist St. Hedwig nicht nur ein bedeutendes Kunstwerk, sondern auch ein Symbol der katholischen Selbstbehauptung in der DDR. Für die anderen ist sie ein Sakralbau wie andere und muss als solches den jeweils aktuellen liturgischen Vorstellungen genügen.
Nun aber haben die Umbaupläne die letzte Hürde genommen: Der für den Denkmalschutz zuständige Berliner Kultursenator Klaus Lederer gab bekannt, dass er das Umbaubegehren des Erzbistums genehmigen werde. Dabei kämpft Lederers Landesdenkmalamt seit Jahren gegen den Umbau an. Auch der international zusammengesetzte Berliner Landesdenkmalrat, die Berliner Akademie der Künste und die Nordrhein-Westfalens sowie führende Kunst- und Architekturhistoriker haben sich gegen den purifizierenden Entwurf ausgesprochen, mit dem das Fuldaer Architekturbüro Sichau & Walter in Zusammenarbeit mit dem Wiener Künstler Leo Zogmayer im Jahre 2014 den Wettbewerb gewann. In einem offenen Brief protestierte auch der ehemalige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Hans Joachim Meyer, gegen das Projekt: Die Umbaupläne verrieten eine "erschreckende geschichtliche Ahnungslosigkeit". Der breiten Kritik zum Trotz haben sich alle Gremien des Berliner Erzbistums dennoch 2016 für die Ausführung des Umbauentwurfs ausgesprochen. Nur der Kunstbeirat war unentschieden. Dann sprach am 1. November 2017 Erzbischof Heiner Koch sein Machtwort: Er sei "zuversichtlich", so Koch, "dass die Umgestaltung mehr noch als bisher eine würdige Feier der Liturgie ermöglichen, einen Ort der Gottesverehrung im Herzen von Berlin akzentuieren und eine Stätte der Nachdenklichkeit eröffnen wird".
Mit Kochs "Zuversicht", so Kultursenator Lederer, seien alle Einwände hinfällig geworden. Rein rechtlich nämlich dürfe der Staat die ästhetischen oder liturgischen Vorstellungen des Erzbistums über die Gestaltung der Kirchenräume nicht bewerten. Das Grundgesetz gewähre den Kirchen und Glaubensgemeinschaften alle Freiheit, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Das gelte auch für die Umgestaltung der St. Hedwigs-Kathedrale. In der Hauptstadt, wo nur noch rund 30 Prozent der Menschen einer christlichen Kirche angehören, ist ein solches Einstehen für die Gestaltungsrechte der Kirchen politisch mutig – vor allem wenn man, wie Klaus Lederer, der Linkspartei angehört. Die ist stolz auf ihren demonstrativen Laizismus. Gesine Lötzsch, Bundestagsabgeordnete der Linken, protestierte deswegen: "Ich sehe nicht ein", so Lötzsch, "dass die Steuerzahler elf Millionen Euro für die Zerstörung eines historischen Denkmals zahlen sollen. Wir werden die Sperrung der Mittel im Haushaltsausschuss des Bundestages beantragen."
Immerhin eines steht jenseits der politischen und weltanschaulichen Lager fest: Die St. Hedwigs-Kathedrale ist in ihrer jetzigen Gestalt ein herausragendes Denkmal – auch wenn sie den aktuellen kirchlichen Anforderungen möglicherweise nicht mehr genügt. Bereits ihr Vorgängerbau, der zwischen 1747 und 1773 nach den Plänen Georg Wenzeslaus von Knobelsdorffs im Auftrag König Friedrichs II. entstand, galt als bauliche Demonstration weltanschaulicher Toleranz im protestantischen Preußen. Doch stand davon nach 1945 nur noch ein ausgeglühter Mauerring aus Ziegeln. Schon 1946 initiierte der Berliner Bischof Konrad Kardinal von Preysing deshalb den Wiederaufbau. Acht Jahre später wurde die Kuppel aus kühn geschwungenen Stahlbetonrippen zum Symbol des Wiederaufbaus der katholischen Kirche in der DDR. Für die Neugestaltung des Innenraums beauftragte der 1950 berufene Bischof Wilhelm Weskamm 1955 den Düsseldorfer Architekten Hans Schwippert. Dieser war nicht nur ein bedeutender Kirchenarchitekt. Er hatte auch 1949 das modernistische Bundeshaus in Bonn und das Bundeskanzleramt im Palais Schaumburg entworfen. Mit seiner Berufung für den wichtigsten Kirchenbau in der "Hauptstadt der DDR" demonstrierte die Kirche also nicht nur ihren Willen, ästhetisch modern aufzutreten, sondern auch das Festhalten an der deutschen Einheit: Bis 1961 war es auch Westberliner Gläubigen möglich, relativ einfach an Gottesdiensten teilzunehmen, nie wurde das Bistum kirchenrechtlich geteilt.
Schwippert entwarf für seine Kathedrale einen Raum, wie man ihn bis dahin nicht gesehen hatte: Eine breite, schlüssellochförmige Bodenöffnung führt zu den Kapellen mit den katholischen Märtyrern der Nazizeit im Sockelbereich der Kirche. Aus der Öffnung ragt der gewaltige, leicht gerundete Altarblock in die luftig-weite Gemeindekirche empor, der symbolisch Himmel und Erde miteinander verbindet. Eine ähnliche Komposition, wie man sie im Hochaltar von St. Peter in Rom findet. Die Säulen vor den Wänden wurden mattweiß, die Wände selbst kühl hellblaugrün verputzt, der Boden mit grauem Marmor aus Thüringen belegt. Prachtvoll wirkt dieser Raum vor allem durch das Licht, die geometrischen Fensterverglasungen des Aacheners Anton Wendling, durch die Proportionen, die zarten Rippen der Kuppel, die kostbaren, matt schimmernden Materialien und das feine Detail der erstklassigen künstlerischen Ausstattung, die von west- und ostdeutschen Künstlern geschaffen wurde; was aus ihr beim Umbau wird, ist übrigens bisher weitgehend ungeklärt.
Vor allem aber waren die Gemeindebänke ursprünglich in leicht gebogenen Kreissegmenten um die Bodenöffnung, den Altar und das leicht erhobene Podium mit dem Bischofsthron herum angeordnet. Erst seit Beginn der 1980er Jahre stehen sie straff gerade seitlich dieser Raumlandschaft, lassen die Bodenöffnung nur noch als Loch erscheinen, nicht mehr als Mitte des Gottesdienstes. Auch deswegen wirkt der Raum heute so disparat, so unharmonisch.
Das Umbauprojekt ist sehr berlinerisch
Im Umbauentwurf von Sichau, Walter und Zogmayer bleiben von diesem Raum eigentlich nur das Kreisrund des Raums, die Pfeiler vor den Wänden und die Orgel. Die breite Bodenöffnung hingegen wird geschlossen, genau unter den Scheitel der Kuppel kommt ein neuer Altar, um den in einem sehr weiten Kreis die Stühle für die Gemeinde, die Sitze des Kapitels und der Bischofsthron stehen. Der Raum wirkt dadurch erheblich karger, die Materialien schlichter und heller. Die dann nach oben abgeschlossene Unterkirche soll ähnlich einer Krypta ausgebaut werden und auch als Durchgang in die künftige unterirdische Sakristei dienen. Selbst das Kreuz auf der Kuppel, das zu DDR-Zeiten so unmissverständlich von einer anderen Weltidee als der Staatsdoktrin kündete, soll dem Umbauplan weichen: Es wird ins Giebelfeld der Kathedrale versetzt.
Das Projekt ist in vieler Hinsicht einzigartig: Es wird inzwischen vom dritten Erzbischof verantwortet und überstand sogar die tiefe Finanzkrise des Berliner Erzbistums im Jahr 2003, in der etwa die Zahl der Gemeinden von 207 auf 108 reduziert wurde. Einzigartig ist auch das soziale Umfeld, in dem der Umbau geplant wird. Berlin ist mit etwa 325.000 Katholiken zwar nach Köln und München die drittgrößte katholische Stadt Deutschlands. Damit ist die katholische Kirche heute statistisch in Berlin so stark vertreten wie seit der Reformation nicht mehr. Andererseits aber ist sie in ihren Traditionen extrem zersplittert und geprägt vom beständigen Wandel. Viele Ostberliner Katholiken zogen in den Westen und umgekehrt. Hinzu kamen seit 1990 viele Tausend Zugezogene. Die traditionelle Bindung an die jeweilige Ortsgemeinde lockerte sich. Manche Katholiken fahren heute viele Kilometer, heißt es aus dem Erzbistum, um in St. Hedwig Gottesdienst zu feiern und am Grab von Dompropst Lichtenberg zu beten. Die Gründe dafür sind, so der Pressesprecher des Erzbistums, Stefan Förner, sehr unterschiedlich. Sie reichen von traditioneller Anhänglichkeit an die Kathedrale und selbstverständlicher Akzeptanz ihrer besonderen Bedeutung als Bischofskirche bis zur Sympathie für den Bischof oder die Erwartung an eine besonders gute Predigt.
Noch immer sind viele Ostberliner Katholiken geprägt durch die Erfahrung einer Kirche, die lernen musste, nur durch eisernen Zusammenhalt überleben zu können in der DDR. Für sie ist die bestehende St. Hedwigs-Kathedrale das Symbol ihres Widerstands gegen eine atheistische Umwelt und einen übergriffigen Staat. Für diese Erzählung stand und steht St. Hedwig noch immer. Wer Hand an diese Kirche legt, der ignoriert aus dieser Perspektive auch die Lebensläufe einer Generation von ostdeutschen Katholiken.
Alteingesessene Westberliner dagegen haben oft ein weniger emotionales Verhältnis zur St. Hedwigs-Kathedrale. Sie kamen drei Jahrzehnte lang nur kompliziert in diese Kirche, haben keine Bindung zu ihr aufbauen können. Vielleicht hätte die Erzählung von der politischen Kathedralgestaltung Schwipperts, diesem gebauten Symbol des Einheitswillens, auch auf den Westen identitätsstiftend wirken können. Doch wurde diese Seite des Entwurfs in den vergangenen Jahren nur am Rand debattiert. So blieb es für die schon rein numerisch dominanten Neu- und Westberliner oft bei einer vornehmlich ästhetischen oder historischen Beurteilung der Kirchengestaltung Schwipperts. Gespiegelt wird das auch in den Entscheidungen der Gremien des Erzbistums. Und während die von dem ehemaligen Berliner Abgeordneten Alfred Molter initiierte Initiative gegen den Umbau vor allem ostberlinisch geprägt ist, ist der im November 2017 entstandene Förderverein für die Umgestaltung "hedwig21.berlin – Die Kathedrale" vor allem eine Neu- und Westberliner Veranstaltung. Der Vorsitzende, der Jurist Christoph Lehmann, initiierte im Jahre 2009 etwa den nur in Westberlin erfolgreichen Volksentscheid über den Religionsunterricht, ProReli. Und Lehmann betonte im November zwar, dass es sich nicht um eine Initiative der Kirche handele. Doch ist auch der seit Langem für den Umbau werbende Dompropst Tobias Przytarski mit auf der Gründerliste des Vereins vertreten.
Der Umbauplan fügt sich aber auch in ein größeres ästhetisches Bild: Bereits seit den 1980er Jahren greift im deutschen Katholizismus westdeutscher Prägung eine geradezu puritanische Begeisterung für den jeder Geschichte entledigten, klaren Kirchenraum, für einfache Gestaltung und kostbar-schlichte Materialien um sich. Berühmtestes Beispiel dafür dürfte das Museum Kolumba in Köln sein, entworfen vom Architektur-Asketen Peter Zumthor. Ästhetisch raffiniert ist darin der Schatz der Diözese präsentiert, doch ohne alle historische oder gar funktionale Erklärung. Das Objekt, gefertigt zum Lob Gottes, soll sich selbst erklären. Ähnlich karg ist auch die Neugestaltung der Kirche St. Nikolaus in Rosenheim, ganz reduziert auf die architektonischen Grundformen der Gotik, darin strahlen erlesen einige wenige Kunstwerke. Oder die skandalbehaftete Bischofsresidenz in Limburg: Oft wurde im Streit um das Geld übersehen, welch ästhetische Askese hier demonstriert wird, wie genau die Materialien der Reliquienbehälter mit denen der Wände übereinstimmen, wie sorgfältig jede Fuge sitzt.
Auch in dieser Hinsicht ist das Umbauprojekt also sehr berlinerisch: In ihm treffen oft extrem widersprüchliche Erzählungen von dem, was historisch wichtig ist, auf die Begeisterung für das Neue an und für sich. Dieses Neue jedoch ist, auch das ist sehr charakteristisch für Berlin, nicht möglich ohne die Unterstützung der Bundesregierung und des Bundestags, zu der hier die immense Solidarität der Nicht-Berliner Katholiken in Deutschland tritt, die zugunsten der "Hauptstadt-Kathedrale" auf manchen Cent verzichten, der in andere Projekte fließen könnte. Vor allem aber ist sehr berlinerisch, dass dieses Projekt zwar die historische Bedeutung des Katholizismus in Berlin betont, gleichzeitig aber das historische Dokument dieses Anspruchs negiert, eben die Gestaltung Schwipperts. Was angesichts des neuen Reinheitskults durchaus folgerichtig ist: Der steht gegen das Traditionsbewusstsein eines traditionellen Katholizismus. Der muss ihm egal sein, weil es um die Suche nach einer absoluten Wahrheit im Glauben geht. Dagegen kann kein Denkmalschutz bestehen.
Klarstellungen aus Sicht der Initiative „Freunde der St. Hedwigs-Kathedrale“
Bei aller Wertschätzung des verdienstvollen Beitrags sind Details zu präzisieren:
Zitat: „Das Projekt ist in vieler Hinsicht einzigartig: Es wird inzwischen vom dritten Erzbischof verantwortet …“
Initiiert von Kardinal Woelki und weitergeführt von Erzbischof Koch wurde das Projekt nur von zwei Erzbischöfen, ehemaligen Kölner Weihbischöfen, verantwortet. Es sind keinerlei Belege bekannt, dass Kardinal Sterzinsky jemals einen Umbau erwog.
Zitat: „… die von dem ehemaligen Berliner Abgeordneten Alfred Molter initiierte Initiative gegen den Umbau …“
Welche Initiative gemeint ist, erwähnt der Autor nicht. An der durch Fernsehen, Rundfunk, Presse und öffentliche Korrespondenzen bekannt gewordenen Initiative „Freunde der St. Hedwigs-Kathedrale“ zur respektvollen Sanierung der Kathedrale ist Herr Molter jedenfalls nicht beteiligt und hat sie auch nicht initiiert.
Werner J. Kohl, Sprecher der Initiative „Freunde der St. Hedwigs-Kathedrale“
St. Hedwigs-Kathedrale
Die Berliner St. Hedwigs-Kathedrale soll neu gestaltet werden. Das empört viele alteingesessene Katholiken, die in dem Sakralbau noch immer das Symbol katholischer Selbstbehauptung in der DDR sehen. Zu Recht?
Von Nikolaus Bernau
2. März 2018