Offener Brief zur Hedwigskathedrale vom 27.12.2019

Vom drohenden Verlust einer Zeitschicht. Offener Brief an die Entscheidungsträger im Erzbistum Berlin zu den Zerstörungen in der Hedwigskathedrale

Prof. Dr. Christian Freigang, Kunsthistorisches Institut der Freien Universität Berlin

Prof. Dr. Kai Kappel, Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin 


" (…) Die eklatante Missachtung dieser Grundsätze halten wir für einen äußerst bedenklichen Präzedenzfall."

"(…) Was vor allem schockiert, ist die provokative Rücksichtslosigkeit, mit der hier die längst festgestellte historische Bedeutung und architektonische Qualität dieser Zeitschicht des Bauwerks missachtet werden."

"Die Hedwigskathedrale als Schlüsselwerk eines grenzüberschreitenden deutschen Nachkriegskirchenbaues scheint unrettbar verloren, solange der Demolierung des Inneren nicht Einhalt geboten wird. Ihre Zerstörung und die dafür vorgelegte, erschütternd eindimensionale Begründung dürfen keine Präzedenzfälle werden!"



 

Prof. Dr. Christian Freigang, Kunsthistorisches Institut der Freien Universität
Prof. Dr. Kai Kappel, Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin

 

 

Erzbischöfliches Ordinariat Berlin

Niederwallstr. 8-9
10117 Berlin

27. Dezember 2019

 

Vom drohenden Verlust einer Zeitschicht. Offener Brief an die Entscheidungsträger im Erzbistum Berlin zu den Zerstörungen in der Hedwigskathedrale

 

Hans Schwipperts Umbau der Berliner Hedwigskathedrale droht unwiederbringlich verloren zu gehen. Eines der Hauptwerke des katholischen Kirchenbaus der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts wird seit September 2019 in einem Akt gegenwärtigen Vandalismus mit dem Presslufthammer zerstört. Bruchstücke des Kapfenberger Marmors, aus dem Schwippert die liturgische Landschaft des Inneren geformt hatte, wurden unlängst in einem Müllcontainer gefunden. Die filigrane Metall-Glas-Balustrade von Fritz Kühn im Inneren ist zumindest teilweise gewaltsam herausgerissen bzw. entfernt, die Glasfenster sind herausgenommen und irgendwo deponiert. All dies geschah in einer Geheimaktion, bevor die offizielle Baugenehmigung erteilt war und bevor ein Gerichtsverfahren der Urheberrechteinhaber entschieden war! Offensichtlich ist geplant, durch Zerstörungen im Innenraum vollendete Tatsachen zu schaffen, um solchermaßen juristische Eingriffe gegen die Rechtsverstöße gegenstandslos zu machen.

 

Zur Erinnerung: Der selbstverständlich seit langem denkmalgeschützte Ausbau durch Schwippert in den Jahren 1953-1963 behielt zwar die barocke Außenhülle, machte das völlig kriegszerstörte Innere aber zu einem Musterbeispiel modernen Bauens im alten Bestand. Die durch eine große, kreisrunde Bodenöffnung zugängliche Unterkirche gab dem Bau einen vertikalen Akzent, der durchaus theologisch fundiert war. Unten die Verehrungsstätten der hier gebetteten neuen Seligen wie dem von den Nationalsozialisten verfolgten und zu Tode gebrachten Pfarrer Bernhard Lichtenberg, darüber die Ebene des gegenwärtigen Betens, überspannt von der lichterfüllten, auf einem kühnen Metallrippenschirm konstruierten Kuppel. Der Hauptraum versammelte die Gemeinde konzentrisch um die Unterkirche sitzend um den Altar, der in einer Art Stele aus der Unterkirche hervorragte. Die Feierenden waren umgeben von gleichsam schwebenden, ganz schlichten Doppelsäulen, ein Motiv, das Schwippert aus dem Vorgängerbau übernommen hatte. Generell war sein sorgfältig ermitteltes Konzept voller subtiler Bezüge auf die Traditionen des katholischen Kirchenbaus von der Confessio im Petersdom über die Allerheiligenkirche des Pantheons bis hin zu zahlreichen Bezugnahmen auf die liturgischen Reformansätze des 20. Jahrhunderts. Niemand wird daran zweifeln, dass es sich bei Schwipperts Ausbau um ein herausragendes Denkmal handelt, zumal er ein einzigartiges Zeugnis dafür ist, wie ost- und westdeutsche Architekten, Künstler und Planer inmitten des Kalten Kriegs grenzüberschreitend zusammenarbeiteten und daraus ein Hauptwerk des katholischen Kirchenbaus inmitten der DDR entstand.

 

Für die seit 2014 unter den Erzbischöfen Woelki und Koch betriebenen Umbaumaßnahmen führt das Erzbistum liturgische Aspekte an. Was nun entstehen soll, ist ein in seinen Anklängen an parlamentarische Säle wenig spezifischer Raum mit strenger Zentrierung auf den Altar und konzentrisch angeordneten Gemeindebänken. Das Gedenken an die kirchlichen NS-Opfer und an die Berliner Bischöfe wird nun buchstäblich peripher. Trotz massiver öffentlicher Proteste gelang es, dieses Projekt durchzusetzen. Dabei ist dieses nicht einmal in der katholischen Gemeinde Berlins unumstritten. Ebenso schwer wiegt, dass hier ein gesellschaftlicher Konsens beim Umgang mit bedeutenden historischen Bauten Schaden nimmt: Gilt es doch, zwischen den Belangen einer das öffentliche Interesse wahrenden und durchsetzenden Denkmalpflege und den Bedürfnissen der kirchlichen Nutzerinnen und Nutzer sensibel zu vermitteln. Selbst für nicht mehr liturgisch zu nutzende Kirchenbauten existiert dieser prinzipielle Konsens, um eine schnöde Profanisierung möglichst zu vermeiden.

 

Die Hedwigskathedrale ist als architektonisch, städtebaulich und künstlerisch herausragendes Denkmal zu erhalten. Dies meint ihre historisch gewachsene Gesamtgestalt, nicht nur die äußere Hülle. Die Hedwigskathedrale gehört allen in Berlin und allen Gästen. Genauso wie Le Corbusiers Kapelle von Ronchamp und Egon Eiermanns Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin, beide praktisch gleichzeitig zu St. Hedwig errichtet, jeweils eine Kirche und ein Bauwerk für alle sind und deswegen in ihrer räumlichen Logik und liturgischen Disposition nicht mutwillig defiguriert werden würden.

 

Die eklatante Missachtung dieser Grundsätze halten wir für einen äußerst bedenklichen Präzedenzfall. Seit dem 19. Jahrhundert beständig differenzierte Prinzipien des Denkmalschutzes werden hier durch Partikularinteressen außer Kraft gesetzt. Gerade im kulturell pluralen Berlin hätte der Fall der Hedwigskathedrale zu einem Musterbeispiel werden können, unterschiedliche Wünsche und Ansprüche liturgische, baukünstlerisch- denkmalpflegerische, touristische fruchtbar zusammenzuführen. Was vor allem schockiert, ist die provokative Rücksichtslosigkeit, mit der hier die längst festgestellte historische Bedeutung und architektonische Qualität dieser Zeitschicht des Bauwerks missachtet werden.

 

Die Hedwigskathedrale als Schlüsselwerk eines grenzüberschreitenden deutschen Nachkriegskirchenbaues scheint unrettbar verloren, solange der Demolierung des Inneren nicht Einhalt geboten wird. Ihre Zerstörung und die dafür vorgelegte, erschütternd eindimensionale Begründung dürfen keine Präzedenzfälle werden!

 

gez. Christian Freigang

Prof. Dr. Christian Freigang, Kunsthistorisches Institut der Freien Universität Berlin, Professur für Geschichte und Theorie der Architektur, Koserstraße 20, 14195 Berlin 

 

gez. Kai Kappel

Prof. Dr. Kai Kappel, Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, Professur für Geschichte der Architektur und des Städtebaus, Georgenstraße 47, 10117 Berlin

 

MitunterzeichnerInnen:

Jun.-Prof. Dr. Sebastian Fitzner, Kunsthistorisches Institut der Freien Universität Berlin, Juniorprofessur für Architekturgeschichte der Frühen Neuzeit

 

Prof. Dr. Matthias Noell, Universität der Künste Berlin, Professur für Architekturgeschichte und Architekturtheorie und stellvertretender Vorsitzender des Landesdenkmalrats Berlin

 

Prof. Dr. Kerstin Wittmann-Englert, Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin, Professur für Architekturgeschichte und ehemalige Vorsitzende des Landesdenkmalrates Berlin

 

In Kopie an:

Berliner Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Kunstchronik
Süddeutsche Zeitung

Tagesspiegel