Horst Bredekamp

Herder Korrespondenz_Heft 1 / 2019 (Januar 2019)

Ein Gespräch mit dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp

"Radikaler Laizismus erzeugt neue Probleme"

Deutschland streitet über den richtigen Umgang mit religiösen Symbolen. Der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp erklärt, wie das Kreuz die Menschen noch heute bewegt, warum der Umbau der Hedwigskathedrale ein Fehler ist und wie man am besten eine Kirche besichtigt. Die Fragen stellte Lucas Wiegelmann.

HORST BREDEKAMP

Prof. Dr. Horst Bredekamp, Institut für Kunst- und Bildgeschichte der HU Berlin Berlin.

1947 in Kiel geboren, ist einer der renommiertesten Kunsthistoriker der Welt. Er lehrt seit 1993 an Humboldt-Universität zu Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören politische Ikonographie, Bildersturm, die Skulptur der Romanik und die Kunst der Renaissance. Von 2015 bis 2018 bildete Bredekamp mit Neil MacGregor und Hermann Parzinger die Gründungsintendanz des Berliner Humboldt-Forums.

Download
Herder Korrespondenz 1/2019_Bredekamp-Interview_"Radikaler Laizismus erzeugt neue Probleme"
2019-01-Herder Korrespondenz_Bredekamp-I
Adobe Acrobat Dokument 1.1 MB

Das Heft ist erhältlich beim Verlag Herder GmbH: 

Der Artikel ist auch einzeln erhältlich:



"Das muss erhalten bleiben."

Bredekamps Aussagen zur Hedwigskathedrale (Auszug aus dem Artikel)

 

Frage von Lucas Wiegelmann ( Herder Korrespondenz):

Das meistdiskutierte Kirchengebäude Deutschlands ist derzeit die Hedwigskathedrale hier in Berlin. Sie ist seit Kurzem geschlossen, weil sie renoviert und dabei grundlegend umgebaut werden soll: Die berühmt-berüchtigte Öffnung im Boden, von Spöttern "das Loch" genannt, soll überdeckt und der Altar in die Mitte des Raumes gerückt werden. Eine gute Idee?

 

Horst Bredekamp:

Die Diskussion, ob eine Kirche auch als Zentralbau funktionieren kann und , wenn ja, wie, beschäftigt die Menschen seit der Renaissance. Nehmen Sie wieder den Peterdom in Rom: Michelangelo hatte die Kathedrale als gerichteten Zentralbau geplant. Aber am Ende hat sie doch wieder eine Langhaus bekommen, weil Michelangelos Nachfolger Carlo Maderno die Möglichkeit des gerichteten Einzuges in einen Raum schaffen wollte, in dem das Kirchenvolk zu platzieren war. In der Hedwigskirche befindet sich dort, wo sich die Gemeinde eigentlich versammeln müsste, die Öffnung mit der Treppe. Ich kann gut verstehen, dass das Erzbistum dies ändern will. Auf der anderen Seite muss man aber sehen, dass die Hedwigskirche in ihrer gegenwärtigen Gestalt ein - dieser Superlativ ist völlig angemessen - singuläres Denkmal ist. So gut ich die liturgischen Gründe für den Umbau nachvollziehen kann: Als Kunsthistoriker muss ich mich den Veränderungswünschen entgegenstellen.

 

Frage von Lucas Wiegelmann ( Herder Korrespondenz):

Kirchen wandeln sich nun einmal. Die wiederausgebaute Hedwigskathedrale mag heute ein singuläres Denkmal sein. Damals, nach dem Krieg, bedeutete die Art des Wiederaufbaus einen schweren Eingriff in die vorherige Gestalt des Gebäudes. Wie kann man definieren, welches der authentische und damit schützenswerte Zustand einer Kirche ist?

 

Horst Bredekamp:

Es gibt zumeist keinen absolut originalen Zustand. Deshalb lautet eine Grundregel der Denkmalpflege: Jedes Stadium der Baugeschichte hat das Recht, bewahrt zu werden. Da sich die verschiedenen Schichten aber meist miteinander verschmolzen haben, muss in jedem Fall erörtert werden, welche Schichten stärker oder weniger stark hervorgehoben werden sollen. Das Kriterium hierfür ist die architektonische Qualität, die sich an den Formen und an der jeweiligen historischen Entstehungssituation bemisst. In der Hedwigskathedrale gibt es beides: Es ist architektonisch gesehen eine äußerst kühne Anlage, mit der Zusammenführung von Krypta und Paterre und der Freistellung der auf das römische Pantheon anspielenden Kuppel. Und die historische Bedeutung ist überragend: Mitten im Stalinismus wünschte die realsozialistische Regierung in Berlin eine Art Bündnis mit der Kirche und erlaubte dafür den Wiederaufbau der Kathedrale als Gemeinschaftsgebilde, in das mit dem Grab von Bernhard Lichtenberg ein antifaschistischer katholischer Märtyrer eingebunden war. Als Architekt durfte dann auch noch Hans Schwippert wirken, gewissermaßen der Erbauer der westlichen Demokratie, der Mann, der nach dem Krieg in Bonn den Plenarsaal des ersten Bundestages gebaut hat, also jenen Gebäudekomplex, in dem das Grundgesetz verabschiedet wurde. Die Konstellation ist von einer so irrsinnigen Paradoxie und Einmaligkeit, dass es in der Abwägung dann doch leichtfällt, zu sagen: Das muss erhalten bleiben.