GOTT UND DIE WELT
Streit ums Gotteshaus
Wenn Kirchenbauten Gemeinden spalten
Von Carmen Gräf
Informationen auf der Internetseite des RBB
Das Manuskript der Sendung bietet der RBB hier.
An den Beispielen Hedwigskathedrale, Potsdamer Garnisonskirche und "House of One" werden Beziehungen der Gläubigen zu ihren Kirchenbauten dargestellt. Aspekte derzeitiger Diskussionen werden von Beteiligten und Betroffenen vorgebracht.
"Der geplante Umbau der Hedwigskathedrale durch das Erzbistum spaltet die Berliner Katholiken." So wird es in der Erläuterung zur Radiosendung resümiert. Die Kontroversen wurden im Jahre 2013 ausgelöst, als der damalige Erzbischof Woelki einen Umbau der Kathedrale initiierte, die nur einer Sanierung bedurfte.
DAHLEMER FORUM BERNHARDINUM
Pfarrsaal von St. Bernhard
Königin-Luise-Str. 33 | 14195 Berlin
Die St.-Hedwigs-Kathedrale
Symbolbau des Aufbruchs
und gesamtdeutscher Erinnerungsort
"1953-63 wurde in Berlin die stark kriegszerstörte St.-Hedwigs-Kathedrale wiederaufgebaut. Unter den Bedingungen des Kalten Krieges und der Spaltung der Stadt gelang mit der Vollendung des (Ost-)Berliner Bischofssitzes einer der bedeutendsten Leistungen kirchlichen Wiederaufbaus nach 1945.
Ihre Gestalt verdankt die Kathedrale einer vielbeachteten ingenieurtechnischen Leistung und einer in gesamtdeutscher Werkgemeinschaft entstandenen architektonisch künstlerischen Raumschöpfung, die zugleich ein heraus-ragendes Denkmal des Katholizismus ist. Vielschichtig und hochpolitisch sind die Bedeutungen des im Geist der Reformen des II. Vatikanischen Konzils geschaffenen Kathedralraums. Moderne Architektur ist hier weiterführendes Bekenntnis und zugleich Ausdruck einer Tradition, in der für Katholiken aus Ost und West bis heute Erneuerungskraft, Universalität und Zukunftsorientierung liegen. Der Umgang mit diesem bedeutenden Denkmal ist nicht nur eine Entscheidung von eminenter erinnerungspolitischer Tragweite. Durch einen respektvollen Umgang mit dem Baukunstwerk bietet sich zugleich die einmalige Chance, moderne „Architektur als (katholisches) Ereignis“ zu erleben und die Idee des katholischen Aufbruchs in Berlin neu zu vermitteln."
Die Referentin:
Dr. phil. Sabine Schulte
Kunsthistorikerin und Denkmalpflegerin, Referentin für Sakraldenkmalpflege im Landesdenkmalamt Berlin
Viele Zuhörer des Vortrags zeigten sich dankbar, nun theologische und liturgische Bedeutungen ihrer Bischofskirche erfahren zu haben, die bisher nicht bekannt gemacht wurden. Der Wert der bestehenden Kathedrale wurde deutlich. Illustriert von vielen neu recherchierten Bilddokumenten wurden wissenschaftlich begründete Argumente für eine substanzschonende Weiterentwicklung der Kathedrale anschaulich ausgeführt.
In der anschließenden Diskussion wurde gefragt, warum nicht in allen Gemeinden dieser informative Vortrag zu hören ist und ob ihn die Verantwortlichen kennen, die sich noch immer mit Umbaugedanken tragen.
Mehr als 70 prominente Fachleute aus dem Bereich Denkmalpflege, Architektur, kulturelles
Erbe und Erinnerungspolitik appellieren mit guten Argumenten in einem Offenen Brief an Erzbischof Dr. Koch, seine Bischofskirche mit ihrem großen Potenzial historischer und theologischer Botschaften in ihrem Bestand anzunehmen und die Eingriffe auf eine denkmalgerechte Bestandssanierung und minimalinvasive Beseitigung von Defiziten zu
beschränken. Der Offene Brief an Erzbischof
Der langjährige Vorsitzende des Denkmalrates des Landes Berlin, A. von Buttlar, vertraut mit den bedeutendsten Kulturschätzen Deutschlands, wird unterstützt von Fachleuten aus fünf Ländern. Allein aus Deutschland kommen die Stimmen aus fast allen Bundesländern (mehr als 20 Städte) und vielen unterschiedlichen Fachgebieten. Über 40 Hochschullehrer und Universitätsprofessoren sind unter denen, die sich an dem eindringlichen Aufruf an den Berliner Erzbischof zu einem Überdenken der Pläne zur Zerstörung des Denkmals beteiligen.
Es besteht für interessierte und engagierte Bürger und Fachleute die Möglichkeit, diesen Brief mit Ihrer Unterschrift zu bekräftigen. In Abstimmung mit Prof. Dr. Adrian von Buttlar können sich Unterstützer an folgende E-Mail-Adresse wenden:
Sie erreichen so die "Freunde der St. Hedwigs-kathedrale", die Prof. Buttlar unterstützen. Geben Sie an, wie Sie ggf. zitiert werden möchten (Namen, Titel, Betätigungsfeld und Wohnort) und schicken Sie einfach Ihre Zustimmung per Mail.
In Analogie zu der bereits bestehenden Liste der Unterzeichner des Offenen Briefes werden die weiteren Unterstützer in eine kontinuierlich aktualisierte Liste aufgenommen.
Der Brief mit der Aufstellung der Zustimmenden ist auf den beiden folgenden Internetseiten,
Freunde der St. Hedwigs-Kathedrale und
TU Berlin, Geisteswissenschaften, Aktuelles,
zum Download bereitgestellt.
Eine rege Beteiligung wird dem eindringlich vorgetragenen Anliegen Nachdruck verleihen.
Ein zweiseitiger blattfüllender Hintergrundbeitrag von Gerhard Gehrke im Berliner Kurier berichtet über die Abstimmungsveranstaltung des Diözesanrates. Porträts des Erzbischofs und des Landeskonservators bilden in ihrer großen Entfernung den Gegensatz augenfällig ab. Der Finanzdezernent des Erzbistums stellt extrem hohe Sanierungskosten vor und schürt die Angst, "dass das arme Bistum auf diesen Kosten allein sitzen bliebe." Für den 43 Mio. Euro teuren Umbau würden sich dagegen viele Geldgeber finden. Die Frage nach der Herkunft dieser Gelder blieb aber "öffentlich unausgesprochen". Der vollständige Text der Artikels
"St. Hedwigs-Kathedrale – Der Streit um den Luxus-Umbau" findet sich unter diesem Link.
Parallel zur Beratung der Laienvertreter, den Nutzern der Kathedrale, erschien in der großen Berliner Tageszeitung ein Beitrag von Sabine Gundlach. Darin fasst sie ihre Recherchen bei Baufachleuten und Verantwortlichen zusammen. Baugrundprobleme und erhebliche Kostensteigerungen werden angesichts der bekanntgemachten Umbaupläne erwartet. "Ob die katholische Kirche in Zeiten der Flüchtlingskrise zuviel Geld für den Umbau einer intakten und einzigartigen Kathedrale ausgeben wolle" fragen sich Wissenschaftler. Kunsthistoriker weisen auf die besondere Bedeutung des erhaltenswerten Bestands hin. Auf den gesetzlichen Denkmalschutz sollten die verantwortlichen zuständigen Behörden bestehen, da keine liturgischen Gründe für Ausnahmen vorliegen. Der vollständige Artikel "St. Hedwigs-Kathedrale: Kritiker befürchten Kostenexplosion" findet sich unter diesem Link.
Am 27. Februar 2016 fand eine Versammlung des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Berlin statt. Von den 97 Mitgliedern waren nur 60 Stimmberechtigte gekommen. Dafür war eine große Zahl der Gläubigen, die an der Zukunft der Hedwigs-Kathedrale interessiert sind, zu der öffentlichen Veranstaltung gekommen. Diese hatte jedoch kein Rederecht. In einer geheimen Abstimmung ging es nicht um die notwendige Sanierung, sondern nur um ein Votum für oder gegen den "geplanten Umbau der St. Hedwigs-Kathedrale". Von 59 gültigen Stimmen waren 46 dafür und 13 dagegen. Also waren 22 Prozent gegen den Umbau. Die bemerkenswerte Dramaturgie der Veranstaltung findet sich in einem illustrierten Bericht.
Ein Vortrag von Dr. Sabine Schulte wird hier in einer Textfassung wiedergegeben.
Darin wird die herausragende Bedeutung dieser "einzigen modernen Kirchenraumschöpfung einer kriegszerstörten Bischofskirche in Deutschland" umfassend und fachlich präzis nachgewiesen. Von hohem Zeugniswert, der Liturgie des zweiten Vatikanischen Konzils vollständig entsprechend, bietet diese künstlerisch einzigartige Raumgestaltung zukunftsorientiertes Entwicklungspotential. Der Beitrag ist hier abrufbar.
Stellt Kulturstaatsministerin Prof. Dr. Monika Grütters derart bedeutende Kulturgüter auch im eigenen Land unter Schutz? Schätze, die direkt vor Augen liegen, sollten nicht übersehen werden. Wird die Katholische Kirche ihrem Werte prägenden Selbstverständnis gerecht?
Bei der zusätzlichen Vollversammlung des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Berlin sind die Mitglieder aufgerufen, verantwortungsvoll zu prüfen, ob Ihnen ausreichende Grundlagen vorliegen, die sie intensiv studieren konnten. Sind die bei Sanierung oder evtl. Umbau zu erwartenden Kosten und vollständige Zeichnungen der endgültigen Lösungen in verlässlicher Detaillierung vorgelegt worden? Bei Schaden erwarten Gläubige Rechenschaft !
Die "Entwurfplanung Stand 08-2015", die die Umbauplaner den Verantwortlichen des Erzbistums vorlegten, um die Ausgabe von 1,5 Mio. Euro Planungskosten und die Planungsdauer von 9 Monaten zu begründen, hat bis 27.02.2016 kaum jemand gesehen - nicht die Domgemeinde St. Hedwig, als Eigentümerin der Kathedrale, nicht die Geistlichen und nicht die Gläubigen. Doch diese Planungsstufe, die lt. Vorschriften die endgültige Lösung der Bauaufgabe bieten sollte, enthält kaum Zeichnungen.
Die Kopie dieser Unterlagen mit baufachlichen Anmerkungen steht hier abrufbar zur Verfügung.
Die gründliche Darlegung der Unterschiede zwischen der bestehenden Kathedrale, in ihrer erlebbaren theologischen Prägung und der radikal redu-zierten Idee eines Raumes ohne eindeutigen gottesdienstlichen Charakter..
Baufachliche Antworten gehen auf die Probleme und auch nach zusätzlicher Planung ungelösten Ansätze des Umbauentwurfs ein, die keinen Vergleich mit der bestehenden Innenraumgestaltung zulassen, der hohe Qualität aufweist.
Resümee mit der Feststellung, dass verantwortbare Bauentscheidungen zwei Alternativen erfordern, die sachlich vergleichbare und technisch prüfbare Unterlagen gleichen Ausarbeitungsgrades bieten, die hier noch fehlen.
Die Antworten auf die neuen Fragen sind hier abrufbar.
Es ist der Umbau der intakten Kathedrale geplant, der nach bisherigen Schätzungen des Erzbistums 43 Mio. Euro kosten würde, wobei ergänzende Tiefbauten, die zur Planung gehören, erheblich höhere Kosten erwarten lassen. Soll die Katholische Kirche in einer Zeit großer sozialer Nöte, derart hohe Summen für baulich nicht Notwendiges ausgeben und dafür die Kathedrale Jahre lang schließen?
Die Erhaltung und Sanierung der Kathedrale kosten max. 10 % des Umbaus, ca. 4 Mio.
Euro.
Der fachgerechte Erhalt eines Baudenkmals, das allen Anforderungen
gerecht wird, kann also kostengünstiger erreicht werden. Das stärkt noch die Argumente
der Initiative.
Ehrlichkeit gegenüber staatlichen
Stellen?
Wann werden unabhängig geprüfte Sanierungskosten vom Erzbistum
angegeben oder behauptet
es weiter Kosten von 17 Mio.?
Mehrkosten, Gefahr, Eitelkeit ?
43 Mio. € + X ?
Liturgie, Kultur, Logos, Caritas !
4 Mio. € ohne Risiko
Die Kathedrale, die zur Zeit des systemgeteilten Berlin wiedererrichtet wurde, ist ein Symbol der deutschen Einheit. Sanierung und Pflege dieses Bauwerks bewahren begreifbare Spuren der Geschichte als Orientierung für den Weg künftiger Generationen.